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Handelszeitungs-Artikel

Publiziert: Autor: Oliver Staubli, CEO & Data ScientistTags: HandelszeitungArtikelPredictive AnalyticsBig DataE-CommercePresse

Mein Artikel zu Predictive Analytics und Big Data im Context von E-Commerce wurde in der Handelszeitung abgedruckt. Die Resonanz war durchs Band positiv. Zudem erhielt ich darauf ein Einladung drei Referate zu halten, an der XBorder 2015 in Zürich, Berlin und Wien.

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Artikel-Text:

Die nächste Stufe

Big Data - Vorausschauende Analysen basieren auf der Auswertung gewaltiger Datenmengen. Online-Händler können besonders davon profitieren.

Wenn Sie in die Zukunft sehen könnten, was würden Sie tun? Abgesehen natürlich davon, dass sie im Lotto gewinnen würden. Als Unternehmer würde die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, enorm Zeit sparen und Geld einbringen. Sie würden sich auf wesentliche Kunden fokussieren. Weshalb auch alle Kunden bewerben, wenn Sie vorab schon wüssten, welche positiv auf die Kampagne reagieren. Sie würden die tatsächlichen Kunden kennen, jene, welche den höchsten zukünftigen Customer Lifetime Value (CLV) haben werden. Sie könnten ausserdem voraussehen, welche Kunden bald abzuspringen drohten und würden heute noch gegensteuern. Oder Sie würden einen grossen Deal ausschlagen, wenn Sie wüssten, dass der Kunde nie bezahlen wird.

Predictive Anlaytics ermöglichen genau solche Zukunftsprognosen, basierend auf wiederkehrenden Mustern in historischen Daten. Mit Hilfe von Machine-Learning-Algorithmen können aus diesen Daten automatisiert Prognosemodelle erstellt werden. Diese können das zukünftige, wahrscheinlichste Verhalten eines einzelnen Kunden prognostizieren. Für die Erstellung des Modells werden möglichst viele Kundenattribute wie Kaufverhalten, Kauffrequenz, Kaufvolumen, Personendaten, Produktvorlieben, Geodaten, Socialmedia-Daten und mehr vom Algorithmus berücksichtigt und jene mit prädiktiver Aussagekraft in das Modell aufgenommen. Dass solche Prognosen nicht immer zu 100 Prozent zutreffen, liegt in der Natur der Sache, basieren diese Modelle doch auf Wahrscheinlichkeiten und der Annahme, dass sich die zugrunde liegenden Muster nicht gross verändern.

Tendenz ist von Nutzen

Solange aber die Trefferquote des Modells auch nur um wenige Prozente besser ist als die Trefferquote mit blindem Raten, das heisst, das Modell damit zuverlässig eine Tendenz anzeigt, kann dessen Anwendung bereits von grossem Nutzen sein. Zudem lassen sich Prognosemodelle iterativ mit neuen Daten fortlaufend verbessern und nähern sich somit der bestmöglichen Trefferquote.

Der Unterschied zwischen dem klassischen Descriptive Analytics und dem neuen Predictive-Analytics-Ansatz kann mit einem Vergleich zwischen einem Ruderboot und Motorboot veranschaulicht werden: Mit Descriptive Analytics fassen Unternehmen zusammen, was passiert ist. Sie werten periodisch Kenngrössen wie Conversion Rate, Average Order Value, Retention Rate usw. aus. Der grosse Nachteil besteht darin, dass wie beim Rudern mit einem Ruderboot der Blick stets nach hinten, also auf die Vergangenheit gerichtet ist. Opportunitäten und Hindernisse kommen erst ins Blickfeld, wenn diese schon bereits an einem vorbeiziehen. Somit wird auf Veränderungen im Markt immer zu spät reagiert. Mit Predictive Anlaytics hingegen ist der Blick wie auf einem Motorboot nach vorn in Fahrtrichtung gerichtet, und das Unternehmen kann auf wahrscheinlich eintretende Ereignisse schon heute reagieren.

Das Schlagwort Big Data ist in den letzten Jahren zu einem Hype geworden und wird häufig falsch verstanden: Big Data kann man nicht machen, sondern nur managen. Big Data ist also nicht die Lösung, sondern beschreibt das Problem, dass wir exorbitante Datenmengen generieren, welche sich nicht mehr effizient in traditionellen, relationalen Datenbanken unterbringen und verarbeiten lassen. Neue Datenbankansätze und Tools, welche diesem Problem entgegentreten, gibt es schon seit über zehn Jahren. Beispiele sind NoSQL, MapReduce, Hadoop. Mit den steigenden Anforderungen durch immer grössere, schnellere und vielfältigere Datenströme kommen laufend neue Tools hinzu, wie etwa Spark, Storm.

Potential liegt brach

Was Big Data und Predictive Anlaytics verbindet, bringt der Experte Cronan McNamara auf den Punkt: "Wenn Daten das neue Öl darstellen, dann ist Analytics die Raffinerie, und Prognosemodelle sind die Verbrennungsmotoren, welche uns vorwärtsbringen." Einfach gesagt ermöglicht Big Data bessere Prognosen. Je mehr Daten vorliegen, desto besser lassen sich die Modelle trainieren und desto verlässlicher werden die Prognosen. Bei Banken, Versicherungen und in der Meteorologie werden Prognosemodelle schon seit Jahrzehnten eingesetzt. Diese Bereiche hatten traditionell auch viele Daten zur Verfügung und wissen diese schon seit langem zu nutzen.

Der Schweizer E-Commerce steht aber noch ganz am Anfang bei den Advanced Analytics, wozu Predictive Analytics gezählt werden. Obwohl sich die Prognosen von Kundenverhalten im Vergleich zu den komplexen und chaotischen Finanzmärkten um ein Vielfaches einfacher berechnen lassen und meist auch ohne Big Data schon genügend Daten vorliegen, um einfache Modelle zu erstellen. Alle E-Shops sammeln strukturierte Daten über ihre bestehenden Kunden und könnten diese bereits mit den unstrukturierten Klick-Stream-Daten der User anreichern. Aber die wenigsten nutzen diese Daten schon, um Prognosen herzustellen.

Hier liegt ein riesiges Potenzial brach und wartet nur darauf, ausgeschöpft zu werden. Dass dies noch nicht geschieht, mag daran liegen, dass es dem Schweizer Online-Handel momentan noch zu gut geht. Solange die Umsatz- und Gewinnzahlen stets nach oben zeigen, ist der Druck zum Optimieren noch nicht akut. Dass Predictive Analytics aber einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil bieten würden und zudem durch Personalisierung auch direkten Mehrwert für den Endkunden bedeuten, sehen erst wenige Shop-Betreiber. Momentan liegt der Fokus im Schweizer E-Commerce noch immer auf dem Gewinnen von Neukunden. Das Thema Retention Management, also Kundenbindung, könnte aber mit Predictive Anlytics auf den vorliegenden Kundendaten leicht angegangen werden. Um so dringender, wenn man bedenkt, dass bestehende Kunden bezüglich potenziellem Umsatz um ein Vielfaches wertvoller sind als Neukunden.

Es wäre verwunderlich, wenn nicht viele E-Shops bald versuchen werden, von Descriptive Analytics zu Predictive Anlaytics überzugehen und damit beginnen, das grosse Potenzial ihrer eigenen Daten auszuschöpfen. In dem Sinne: Carpe Data.

Oliver Staubli, Data Scientist, Carpathia AG, Zürich.

Infobox

Predictive Analytics: Das machen Amazon, Airbnb und Sprig

Sprig: Der Essenslieferdienst aus San Francisco setzt Predictive Analytics für die Prognosen von Essensbestellungen ein. Die Kunden erhalten ihre Bestellungen deshalb deutlich schneller als bei der Konkurrenz und so können die Lieferfahrzeuge besser ausgelastet werden.

Amazon: Der Online-Riese nennt das Konzept Anticipatory Shipping und hat sogar ein Patent dafür angemeldet. Amazons Lastwagen dienen dabei als fahrende Lager, welche mit den benö- tigten Produkten schon in der Nähe sind, sobald die prognostizierten Bestellungen eintreffen.

Airbnb: Das Zimmer-Portal setzt auf Predictive Pricing, um den Vermietern den optimalen Marktpreis für ihre Wohnung vorzuschlagen. Dabei werden nicht nur Eckdaten der Wohnung, sondern auch saisonale Faktoren, aktuelle Hotelpreise und grössere Veranstaltungen in der Umgebung mit einbezogen.